Wo die beiden vorgenannten Positionen
eine rationale oder analytisch anmutende Abstraktion von den latent
emotional geprägten Inhalten kennzeichnet, da erscheint das
Werk von Jürgen Reble, das ohne primär erkennbare figurative
oder erzählerische Elemente auszukommen scheint und mangels
anderer präziserer Bezeichnungen eher dem Experimentalfilm
denn dem erzählerischen Spielfilm zuzuordnen ist, ganz entscheidend
geprägt durch Emotionalität. Diese verdankt sich den
von Reble seit Jahren erprobten Verfahrensweisen im Umgang mit
dem technisch erzeugten laufenden Bild. Dabei kann die These aufgestellt
werden, daß Reble zwei fundamental kontrastierende Strategien
in spannungsgeladene Übereinstimmung bringt: Indem er die
Gesetze der Bewegung, die für den Film die entscheidende
Errungenschaft bilden, extensiv steigert, trägt er zur Zerstörung
dessen bei, was die zweite entscheidende Grundlage bildet: das
Festhalten einer in der Zeit ansonsten verschwindenden Wirklichkeit.
Wo für Maria Anna Dewes Muybridge, der große Vorläufer
des bewegten Bildes, des Filmes also, Vorbild zur Gestaltung ihrer
Bewegung einfrierenden Skulpturen ist, da ist Jürgen Rebles
Umgang mit dem Film, besser der Filmschleife, bestimmt von der
Auflösung seiner dokumentarischen Möglichkeiten im Nichts.
Ausgangspunkt ist gegebenenfalls das, was zu den mit dem Medium
Film immer noch verbundenen Anliegen zählt: die sogenannte
Wirklichkeit, der gemeinhin ein erzählerischer Charakter
unterstellt wird. Daß diese Wirklichkeit im Film selbst
da noch, wo sie als Dokumentation daherkommt, über die verschiedensten
Wege der Manipulation längst ihren Wahrheitsgehalt verloren
hat, ist allenthalben bewußt. Gleichwohl klammern sich Menschen
jedweder Herkunft an die Möglichkeit, Wirklichkeit, ihre
Wirklichkeit, mit filmischen Mitteln festzuhalten, was durch die
Erfindung der VideoTechnik erheblich "erleichtert" wurde.
Die Tatsache, daß Jürgen Reble sich just dieser Technik
nicht bedient, daß er vielmehr auf das inzwischen nahezu
archaisch anmutende Handwerkszeug des Films zurückgreift,
erweist sich als vielsagendes Indiz für eine künstlerische
Haltung, die auf eine andere Wirklichkeit als auf die oben angesprochene
zielt. Diese Annahme verfestigt sich zur Erkenntnis in der Begegnung
mit dem Werk vor allem dort, wo der Film, besser das Filmmaterial,
der Rohstoff Filmschlaufe in Installationen einem elementaren
Prozeß der Zerstörung preisgegeben wird. Nun ist es
so, daß Reble durchaus nicht nur die "reine" Filmschlaufe
diesem Prozeß der Zerstörung und des Verschwindens
aussetzt. Diese vielmehr ist, bevor sie zum endgültigen Verschwinden
gebracht wird, auch in althergebrachter Weise genutzt, mit dokumentarischen
"Vorstellungen" besetzt, um dann in einem komplexen
Verfahren eine Vielzahl "natürlicher" Prozesse
zu durchlaufen. Dabei sind es just jene Prozesse, deren Materialität
der Entwicklung des Mediums im wahrsten Sinne des Wortes immanent
ist: Licht, Wasser, Salze und die mit diesen verknüpften
chemischen oder physikalischen Vorgänge und Verbindungen.
Diesen setzt Reble das Material aus, dergestalt eine Art alchemistischen
Prozeß initiierend, dessen Folgen zwar grundsätzlich
bekannt sind, im je sich ereignenden Ablauf aber eine Atmosphäre
entstehen lassen, die emotional aufgeladen ist. Jenseits der materiell
erfahrbaren Dingwelt entfaltet sich ein kreativer Prozeß,
in dem die Entscheidungen des Künstlerproduzenten und die
nicht wirklich kalkulierbaren Auswirkungen der physikalischen
und chemischen Reaktionen zusammenwirken. Der Grad der endgültigen
Zerstörung, in welcher sich auf sinnbildliche Weise unsere
Vorstellung von Wirklichkeit kristallisiert, ist variabel, wird
vom Künstler von Fall zu Fall bestimmt. Daß diese Zerstörung
stattfindet, ist dem Werk Rebles immanent. Das Material, für
welches er sich entschieden hat, trägt den Prozeß der
Auflösung in sich. So kehrt sich denn die Vorstellung von
der zunehmenden Unterkühlung unseres Verhältnisses zu
den technischen Medien um in dem Maße, als gerade dieses
Medium über die den natürlichen Prozessen entlehnte
autonome künstlerische Aktion zum Träger der emotional
geprägten Grunderfahrung von unserer Wirklichkeit als einer
solchen des natürlichen Entstehens und Verschwindens mutiert.
Annelie Pohlen
Filminstallation mit schwarzem Raum, runder Leinwand, Filmprojektor (extrem verlangsamt), handgemalter Filmschleife, 16mm
Back