ALCHEMIE

 

Die Diskrepanz zwischen der Ereignishaftigkeit des Prozesses und spontaner Fixierung versuche ich in der Materialaktion ALCHEMIE zu überwinden. Dabei wird eine vorbereitete Filmschleife während der Projektion entwickelt, chemisch bearbeitet und allmählich zersetzt. Die Emulsion löst sich auf und am Ende verfolgt man den Tanz der Moleküle. Im Verlauf der Aktion ist der Entstehungs- und Zerfallsprozess weitgehend vorgeschrieben und an die Realzeit gebunden. Formen und Farben entstehen und vergehen ständig. Eine Analyse oder Fixierung erscheint widersinnig und rasch kommt man zu der Erkenntnis, daß man vorübergehend teilnimmt an einem wundersamen Stoffwechselprozess und ab einem gewissen Moment der Auflösung ist man nur noch ein Beobachter der Phänomene.

Film als Repräsentant der stofflichen Welt ist niemals fixierbar!

ALCHEMIE ist eine Verschwörung, die zwischen den Elementen, mir und dem Publikum entsteht. Und eine radikale Abkehr vom Museums- und Kunstbetrieb, in dem Kunst nur als wertvolle Substanz gehandelt, gepflegt und erhalten wird. Während der ALCHEMIE entstehen temporäre Zonen filmischer Sensibilität. Niemand kann etwas materielles beiseite schaffen oder horten. Aufmerksamkeit ist gefordert und Stille, Abkehr vom Alltäglichen und Meditation.

Farben und Formen sind vorübergehende Erscheinungen, die in uns Spuren hinterlassen auf Grund derer wir uns an Vergangenes und Zukünftiges erinnert fühlen. Ihre ephemeren Konstellationen geben aber auch Aufschluß über die Zusammensetzung und Befindlichkeit des Kosmos.

Film, betrachtet als Stoffwechselprozess, ist anthropomorph gegenüber der digitalen Welt.


 

SISYPHUS

 

Illusionszertrümmerungsapparat zur Gewinnung von Granulat, eine wachsende Filmplastik.

Nähert man sich Sisyphus, so wird er durch einen Bewegungsmelder automatisch für einige Sekunden in Betrieb gesetzt. Dabei läuft ein Filmstreifen von der Vorratsspule durch einen modifizierten Projektor. Mit verlangsamter Geschwindigkeit wird das Filmbild auf eine Wand projeziert. Man erkennt chemisch bearbeitetes Bildmaterial. Währenddessen läuft der Film aus dem Projektor heraus direkt in einen Mixer und wird dort zu Staub zermahlen. Mit einer zweiten Projektionslampe wird das aufgewirbelte Granulat noch einmal in das Auge des Betrachters geworfen.

SISYPHUS ist eine Abkehr von der Konservierbarkeit von Film hin zum einmaligen Opferakt. Die Illusion des Bildes wird ersetzt durch das real vorhandene Material. Das entstehende Filmgranulat wird anschliessend durch Vermischung mit Kleister weiterverarbeitet. SISYPHUS wird nach und nach von dieser plastischen Masse überwuchert.

Jürgen Reble 1992

SISYPHUS - a growing plastic

Somebody approachs Sisyphus - then he will start automatically switched on by an infrared-detector and work for a few seconds. A super 8 film runs from the stock-reel through a modified projector with removed shutter. With slow motion the film is projected on a wall. After leaving the projector it runs into a mixer and is grinded to dust. With a second projection-lamp the raised granules are thrown the last time into the observers eye. The used material is chemical treated images and originals from the own production.

Sisyphus is a retreat of film's preserving process to the unique sacrifice in which the illusion of the pictures is replaced by the existing material. The so produced granules are mixed with paste. Step by step Sisyphus is stifled by this bulk.

 

 


DAS GALAKTISCHE ZENTRUM

Film- und Klanginstallation mit chemischer Infusion

Drei Filmprojektoren werden in einem gleichseitigen Dreieck am Boden des Raumes installiert. Sie sind wie Teleskope gen Himmel gerichtet. Vor den Objektiven bewegen sich rotierende Scheiben, die den Projektionsstrahl rhythmisch hindurchfließen lassen. Die drei Projektionen treffen sich im Mittelpunkt der Decke, wo sie harmonisch pulsierend ineinanderblenden. Es tauchen kosmische Bilder auf, begleitet von abstrakten Passagen, die immer wieder ins Schwarz zurücksinken.

Die Filmschleifen durchlaufen den Raum über den Boden bis zur Decke und zurück in Form eines Segels. Dabei wandern sie an einem Infusionsschlauch vorüber, aus dem pro Minute ein Tropfen einer Bildsilberätzenden Chemikalie in die Filmemulsion einsickert. Dadurch wird ein Prozess der Bildauflösung stetig vorangetrieben. Durch große Lupen kann der Einfluß am Boden beobachtet werden.

Erweitert wird das galaktische Zentrum durch die Mitarbeit des Klangforschers Thomas Köner. Aus dem Lichtton der Filmperforation gestaltet er eine atmosphärisch verdichtete Klangwolke, die durch leichte Schwankungen im Gesamtsystem ständig neue Konturen annimmt. Sie schwebt über dem gesamten Raum. Zudem entstehen lokale Tonereignisse unter Haufen von Salzen und Filmgranulat: Leise, rhythmisch schabende Klänge, die die Eigenschaften der Rohmaterialien reflektieren.

Das galaktische Zentrum ist ein Laboratorium. Am Anfang der Ausstellung werden die Infusionshähne geöffnet, das Experiment kann beginnen. Der Verlauf der Ausstellung wird bestimmt durch die Phänomene des fortschreitenden Prozesses: Die schwarzen Partien des Bildes werden Punkt für Punkt aufgelöst. Die in der Emulsion schwimmenden Partikel ordnen sich in immer wieder neuer Konstellation auf dem Bildträger an - all das ist wahrnehmbar und präsentiert sich als Schauspiel des Makrokosmischen Weltuntergangs bei gleichzeitiger Neuschöpfung des Mikrokosmos. Der Film und sein Apparat als Medium offenbahrt seine Qualitäten. Man kann in ihn hineinsehen, hören und sogar riechen - man sieht ihn rapide altern! Und ganz nebenbei entfesselt er einen sich ständig verändernden Bilderfluß und verwischt dabei völlig die Grenzen zwischen Zerstörung und Erschaffung.

Jürgen Reble 1996


 

PULSAR

Der Pulsar ist ein seltsames, kosmisches Objekt, das mit ziemlicher Regelmäßigkeit Licht und Tonsignale ausstößt. Durch ein Prisma wird das im Kern entstehende Licht zerstreut und an die Decke gewirbelt. Die projezierte Filmschleife durchläuft den Farbkreis und erzeugt mit ihrer Perforation den Lichtton: rhythmische Signale, die auf zwei Lautsprecher seitwärts übertragen werden. Dadurch werden Haufen von Salz und Filmgranulat in Erregung versetzt.


ASCENDENT

Entwurf für ein Kino mit Extremen der Bewegung und des Lichtes

In der Vorführkabine befindet sich ein modifizierter Projektor: Die Geschwindigkeit ist von 24 Bildern pro Sekunde abgesenkt auf ein halbes Bild pro Minute, was eine etwa dreitausendfache Verlangsamung bedeutet. Die Flügelblende und der Greifer sind beseitigt. Somit wird der Film kontinuierlich ohne Schwarzphasen bewegt. Die Projektionslampe ist stark abgedämpft.

Das eingelegte Filmband zeigt den Wurf eines handgemalten, abstrakten Bildes, das sich ohne Bildstrich über die gesamte Filmlänge erstreckt. Eine Vielzahl von aufgetragenen Schichten getrockneter Farbstoffe und Salze in der Filmemulsion geben eine Vorstellung vom bizarren Formenreichtum kleinster Partikel, die sich zu Miniaturen von pelzigen Landschaften gelegt haben. Die Substanzen sind in transparenten Kunstharz eingegossen. Der Filmvorrat von 60 meter Länge reicht für eine Vorführdauer von 260 Stunden.

Die Projektion des Filmes gedacht als spiralförmig ausgerollte Großhirnrinde entblättert langsam aber stetig seine Strukturen: Archetypen, die in den Mustern und Verwerfungen des Materials verborgen liegen, ziehen in kaum wahrnehmbarer Aufwärtsbewequng vorüber. Das Auge als Korrelat zwischen äußerer Erscheinung und innerer Bildwelt kann sich bei der geringen Lichtintensität wie im Traum völlig entspannen. Die Gefühle für Bewequng und Bewegtheit, für Traum und Wirklichkeit pendeln sich ein und aus. Es entsteht ein halluzinativer Sog, der die Grenzen dieser Wahrnehmungsbereiche vollständig sprengt.

Der optimale Raum für diese Art der Projektion ist das klassische Kino: eine weiße Wand für die Projektion, alle übrigen Raumteile sind schwarz. Dem Besucher soll die Möglichkeit gegeben sein, beliebig lange in diesen Raum einzutauchen. Interessant wird dieses Schwellenerlebnis mit Licht und Bewegung erst nach 5 - 10 Minuten, wenn das Auge sich an die extremen Bedingungen gewöhnt hat.

Publiziert in: Lab, Jahrbuch 1996/97 Für Künste und Apparate, Kunsthochschule für Medien, Köln

Bibliography